Johanna Wohlgemuth – Frau Schnieder kehrt heim

„Frau Schnieder kehrt heim“ ist der Debütroman Johanna Wohlgemuths und  2017 im Gorilla Verlag erschienen.

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„Zumindest kommt ihr plötzlich alles realer vor, die Gespräche, die Menschen. Das Leben der letzten Jahre scheint dagegen nur eine billige Kopie gewesen zu sein. Vielleicht war es eigentlich gar kein Leben?“

Berlin in den dreißiger Jahren. Maren Schnieder wird nach langer Zeit aus der Psychiatrie entlassen und muss sich jetzt wieder allein im Leben zurecht finden. Der Arzt der Psychiatrie hat ihr eine Wohnung  besorgt, doch zu Beginn fühlt sich Frau Schnieder verloren, denn die Welt außerhalb der Klinik ist ihr fremd geworden. Ihren Mann und ihren Sohn hat sie auf unterschiedliche Weise im ersten Weltkrieg verloren, aufgrund dieser Umstände ist sie letztendlich auch in die Klinik eingewiesen worden. Das Leben, das sie jetzt führen muss, ängstigt sie.

Dennoch begegnet Frau Schnieder unfreundlichen Menschen wie ihrer Vermieterin und ihrer Arbeitgeberin freundlich und höflich. Durch diese Freundlichkeit und Großzügigkeit findet sie auch bald einen Freund in dem Obdachlosen Herbert Mörnikke. Bei ihrem ersten Treffen bettelt er sie um Geld an –  da sie keines hat, lädt sie ihn in ihre Wohnung ein und teilt mit ihm ihr karges Mahl. Aus dieser Zufallsbegegnung entwickelt sich rasch eine freundschaftliche Beziehung, da sich Frau Schnieder im grauen und hektischen Berlin, das so anders ist als ihr geregelter Alltag in der Klinik, einsam fühlt. Auch Herbert Mörnikke ist froh, jemanden gefunden zu haben, der ihn, den Veteran, der jetzt auf der Straße lebt, als vollwertigen Menschen betrachtet.

Ihr Psychiater hat ihr nicht nur eine günstige Wohnung, sondern auch eine Arbeit in einem Laden besorgt und so freundet Frau Schnieder sich rasch mit ihrer Kollegin an. Sie beginnt, das Leben außerhalb der Klinikmauern zu genießen, doch kann sie mit ihrer Vergangenheit abschließen?

Johanna Wohlgemuth hat in ihrem  123 Seiten langen Roman die Atmosphäre in Berlin zwischen den Kriegen eingefangen. Sehr gut hat mir gefallen, dass herausgestellt wurde, dass nicht nur die Männer, die in den Krieg gezogen sind, gelitten haben, sondern dass sich auch die Leben der Frauen dadurch verändert haben.

„ ‚Ja, man hat ein Leben. Von Anfang an hat man eins. Die ganze Zeit, Nur wollen tut man es nich. Warum sollte man auch? Tut sowieso nur weh. Das Leben, das gibt einem nichts und nimmt einem alles.‘ “

Wohlgemuth beschreibt nicht nur das etwas „spezielle“ Schicksal ihrer Hauptfigur Frau Schnieder, sondern beleuchtet auch die Leben ihrer Nebenfiguren, wie z.B. das des Obdachlosen Herbert Mörnikke, der traumarisiert aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt ist und alles, was er hatte, verloren hat. Auch werden die Lebensumstände von Frau Schnieders Kollegin gezeigt, die die Lebenswirklichkeit vieler dieser Zeit beleuchtet. Dennoch wirkt die Geschichte zu keinem Zeitpunkt überladen, da lediglich Ausschnitte aus den Leben dieser Personen beschrieben werden. Das hat auch den Effekt, dass die Nebencharaktere nicht blass und inhaltsleer bleiben, obwohl der Fokus klar auf Frau Schnieder liegt.

Der Charakter Frau Schnieders wirkt auf den ersten Blick sehr naiv, ihre Sichtweisen auf die Güte ihrer Mitmenschen fast kindlich, doch durchläuft sie im Voranschreiten der Geschichte eine nachvollziehbare und logisch wirkende Wandlung. Die Gefühlskälte einiger Leute, denen sie begegnet, erschüttert ihr Menschenbild, doch sie ist letztendlich in der Lage, deren Verhalten sowie ihr eigenes zu reflektieren und einzuordnen.

Wegen der gut ausgearbeiteten Charaktere und der treffenden Atmosphäre hat mich dieser kurze Roman in seinen Bann gezogen und hat auch, nachdem ich ihn beendet hatte, noch einige Zeit nachgehallt und das nicht nur wegen dem – für mich sehr überraschenden – Ende. Ich hoffe sehr, dass nach diesem Roman noch weitere der Autorin folgen werden.

 

Frau Schnieder kehrt heim

Johanna Wohlgemuth

Gorilla Verlag, 2017

ISBN: 978-3-9816897-1-6

Ich danke dem Gorilla Verlag herzlich für das Rezensionsexemplar.

Vanna Vinci – Frida. Ein Leben zwischen Kunst und Liebe

Das Graphic Novel „Frida- Ein Leben zwischen Kunst und Liebe“ von Vanna Vinci erschien im August 2017  im Prestel Verlag und wurde von Christine Schnappinger übersetzt.

Vanna Vinci Frida Ein Leben zwischen Kunst und Liebe

„ …und mir wurde eines klar…dass es in meinem Leben zwei große Unfälle gegeben hatte: Einmal, als ich von der Straßenbahn zerquetscht worden war…und ein zweites Mal, als ich Diego begegnet war.“

Die mexikanische Malerin Frida Kahlo (1907-1954) war zu Lebzeiten in der Öffentlichkeit vor allem als Ehefrau des berühmten Malers Diego Rivieras bekannt.

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Sind Serien die neuen Romane?

Ein paar Gedanken

„Hast du nie gedacht, der Roman sei tot, jedenfalls eine bestimmte Art von Roman? Hast du nie gedacht, die Drehbuchschreiber hätten euch abgehängt, vielleicht auch an den Nagel gehängt? […] Diese enge Beziehung, die sich zwischen der Figur und dem Zuschauer knüpft, dieses Gefühl von Verlust oder Trauer, das dieser empfindet, wenn die Geschichte zu Ende ist. Das geschieht nicht mehr mit Büchern, das passiert jetzt woanders.“

So drastisch formuliert es L. in Delphine de Vigans Roman „Nach einer wahren Geschichte“.

Die gegenwärtige Serienlandschaft

Heutzutage ist es dank Netflix&Co so einfach wie noch nie, problemlos und zu jeder Tages- und Nachtzeit an eine neue, qualitativ hochwertige Fernsehsendung zu gelangen und meist hat man auch die Möglichkeit, nicht nur eine, sondern gleich mehrere Folgen am Stück zu sehen.

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Jess Kidd – Der Freund der Toten

„Der Freund der Toten“ ist der erste Roman von Jess Kidd und wurde von Ulrike Wasel und Klaus Zimmermann ins Deutsche übersetzt.

„Mulderrig ist ein Dorf wie kein anderes. Hier sind die Farben ein kleines bisschen leuchtender, und der Himmel ist ein kleines bisschen weiter. Hier sind die Bäume so alt wie die Berge, und ein kleiner Fluss fließt ins Meer. Seine Einwohner bleiben von Geburt an hier, bis sie sterben. Sie wollen nicht weg.“

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Arno Frank – So, und jetzt kommst du

„Gemeinsam bilden meine Eltern eine Einheit, die sich jeder Frage entzieht – wie man einem Gebirge keine Fragen stellt. […] Sie waren schon immer da und werden immer da sein. Was sie tun, ist richtig.  Weil sie es tun. So einfach ist das.“

Arno Frank ist Journalist und hat mit dem autobiographisch geprägten Buch „So, und jetzt kommst du“ seinen ersten Roman veröffentlicht.

Arno Frank So und jetzt kommst du

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Celeste Ng – Was ich euch nicht erzählte

„Was ich euch nicht erzählte“ ist der Debütroman der Autorin Celeste Ng und wurde von Brigitte Jakobeit ins Deutsche übersetzt.

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„Lydia ist tot. Aber das wissen sie noch nicht.“

Dies sind die ersten beiden Sätze des Buches, die mich sofort in ihren Bann gezogen haben. Man befindet sich in einer Kleinstadt in Ohio im Jahr 1977, als Lydia mit einem Mal spurlos verschwunden ist. Die Familie Lee, bestehend aus Vater James, Mutter Marylin, dem ältesten Sohn Nath und der jüngsten Tochter Hannah, sorgt sich verständlicherweise sehr um ihren Verbleib und schaltet umgehend die Polizei ein.

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Rebecca West – Die Rückkehr

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Der Debütroman von Rebecca West wurde erstmals 1918 veröffentlicht und ist somit der einzige zeitgenössische Roman einer Frau, der sich mit dem ersten Weltkrieg befasst.

„Ich empfand tatsächlich einen kalten intellektuellen Stolz über seine Weigerung, sich an sein mittleres Alter zu erinnern, und über sein entschlossenes Verweilen in der Zeit seiner ersten Liebe, denn es machte ihn soviel vernünftiger als uns andere, die wir das Leben nehmen, wie es kommt, beladen mit dem Unwesentlichen und dem Lästigen.“

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Tana French – Gefrorener Schrei

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„Gefrorener Schrei“ (im englischen Original heißt das Buch „The Trespasser“- „Der Schuldige“, mit treffendem inhaltlichen Bezug) ist der sechste Roman der irischen Schriftstellerin Tana French. Das Besondere an den Romanen ist, dass jedes Buch aus der Perspektive eines anderen Ermittlers erzählt wird, der im vorherigen Band schon einmal aufgetaucht ist. So konnte man die Erzählerin dieser Geschichte schon in Frenchs vorherigem Roman „Geheimer Ort“ kennenlernen.

„Ich liebe diese Jagd, durch und durch. Mir ist völlig egal, ob mich das zu einem schlechten Menschen macht. Aber ich weiß, wenn wir das, was wir jagen, tatsächlich fangen, dann wird es uns wahrscheinlich zerfleischen.“

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